Sonntags kamen wir nach einer 90minütigen Busfahrt vom Flughafen Catania in Ragusa an. Wir erlebten noch Katarina aus Kroation und Pino aus Luxemburg, die am gleichen Abend abreisten. In Italien gibt es sehr viele Organisationen, die im Auftrag des Staates in der Flüchtlingsarbeit tätig sind. Die CLC Italien hat mit der kirchlichen Organisation „Fondazione San Giovanni Battista“ eine Vereinbarung getroffen, dass in drei Flüchtlingszentren in Ragusa für die Zeit von sechs Monaten jeweils sechs Freiwillige kostenlos mitarbeiten. Im November gehören wir nun zu diesen Freiwilligen und wir sind sogar sieben Personen, aus der Schweiz, Italien, Frankreich, Slowenien, Niederlanden und Deutschland. Montags besuchten wir zwei der drei Zentren, am Mittwoch das dritte Zentrum.

Bild_1: Die Freiwilligen erhalten eine Vorstellung des Flüchtlingszentrums durch den Leiter
Danach teilten wir uns auf die die drei Zentren auf. Zwei Frauen von uns gehen in ein Zentrum mit neun Frauen und drei Kindern, drei Andere fahren jeden Tag ca. 30 Minuten auf das Land in ein Zentrum, in dem 40 Männer aus Nigeria und Bangladesch wohnen. Ich bin der einzige Mann der Freiwilligengruppe und da sich die „Operator“ (Hauptamtliche) des Zentrums in Ragusa-Stadt mit 30 Männern aus Nigeria und Gambia einen Mann wünschten, gehe ich eben mit Andrea dorthin.
Es fällt mir sofort auf, dass die Flüchtlinge in den Zentren hier „Guests“ genannt werden und ich frage mich, warum wir bei uns in Deutschland viele Worte verwenden, aber nie „Gäste“ sagen und dazu passt folgender Text aus dem jüdischen Talmud:
Achte auf deine Gefühle, sie werden zu Worten.
Achte auf deine Worte, denn sie werden zu Taten.
Achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie bilden deinen Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er bestimmt dein Leben.
Es gibt in Italien zwei „Level“ der Unterbringung, in den ersten sechs Monaten sind es die CAS-Zentren, danach findet mehr Integration in den SPRAR-Häusern statt. Wir arbeiten in den SPRAR-Zentren mit mehreren Operators, wobei viele nur Teilzeit arbeiten. Die wirtschaftliche Situation in Sizilien ist schwierig und die Operator unseres Zentrums wissen, dass ihr Zentrum im Dezember geschlossen wird, es dient nur zur Spitzenabdeckung im Sommer. Die Operator haben dann erstmal keine Arbeit mehr. Auch die „Gäste“ wissen, dass ihr Zentrum im Dezember geschlossen wird und sie dann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Absage zu Ihrem Antrag auf „documents“ erhalten. Dementsprechend ist die Stimmung in diesem Zentrum „Carducci“ bei den „Gästen“ eher depressiv, bei den Operators mehr trostlos. In dieser Situation ist es sehr schwer mit neuen Ideen zu kommen, weil es ja nicht mehr für sehr lange sein wird. Andrea und ich haben uns deswegen überlegt eher Zeiten der Begegnung anzubieten, z.B. einen Workshop „Brotbacken“, eine Stunde „Brettspiele“ oder kreatives „Postkartenerstellen“, dies müssen wir aber zuerst noch mit der Leiterin des Hauses absprechen. Gleich in der ersten Woche konnten wir ein Fußballduell der beiden Mannschaften der Männerunterkünfte erleben, bei dem es sehr engagiert zur Sache ging.

Bild_2: Fußballspiel der beiden Männermannschaften
Alle „Gäste“ haben eine Krankenversicherungskarte, dies hat mich aufhören lassen, ist dies doch bei uns in BaWü nur im Gespräch, aber noch nicht umgesetzt. Das Mittagessen wird mittags von einer Kantine gebracht, wir Freiwillige essen dies auch. Ich habe schon diverse Kantinenessen erlebt und man wird auch von diesem satt, aber sehr geschmackvoll ist es nicht. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass max. die Häfte der Bewohner das Mittagessen einnimmt und die Stimmung bei der Essensausgabe bisher täglich sehr gereizt war.
Ich hatte bisher Gespräche mit Männern aus Gambia und aus Nigeria. Alle sprechen sehr positiv von Deutschland, haben aber auch viele falsche Vorstellungen und Infos. Es kursieren Gerüchte, bei denen ich oft nicht weiss, ob ich nur den Kopf schütteln soll oder mir wieder die Mühe der Richtigstellung mache, meistens tue ich beides nur die Reihenfolge ändert sich manchmal. Sehr berührt hat mich der öfters gehörte Satz „ich fühle mich faul, aber ich bin nicht faul“, von Männern, die gerne arbeiten würden aber nicht dürfen. Irgendwann erfahre ich, dass Andere es eben trotzdem tun.
Am Sonntag findet ein Fest in der katholischen Pfarrgemeinde statt, dort wird italienisch gekocht und die Nigerianer werden Rezepte aus Ihrem Land zubereiten. Wir sind dazu eingeladen und ich freue mich schon darauf.
In dieser ersten Woche habe ich gelernt, dass wir hier keine großen Dinge bewegen werden. Aber wir können im Kleinen da sein, für eine kurze Zeit Gespräche führen, miteinander lachen und so vielleicht nur wenige Minuten diese Hoffnungslosigkeit gemeinsam vergessen. Wir dürfen einfach nur da sein.